"Briefe an den Horizont"
Uwe Beitz

 Download als pdf

Er ist zurückgekommen. Die Großstadt, in die er vor zehn Jahren von diesem Ort aus aufgebrochen war, hat ihn nicht halten können, jedenfalls nicht für sein künstlerisches Schaffen. Wieder muss man, um sein Atelier zu besuchen, den holprigen, schlaglöchrigen und von untiefigen Pfützen übersäten Waldweg hinausfahren, ins Schnellmarker Holz (Altenhof) an der Eckernförder Bucht. Das einsame Haus im Wald, mit der Abbruchkante der Steilküste in Nahsicht, hat eine künstlerische Tradition, der Volker Altenhof jetzt, nach seinem Hamburger Intermezzo, ein neues Kapitel hinzufügt.

Volker Altenhof, 1950 in Hoya geboren, studierte von 1977 bis 1982 an der Kieler Muthesius-Hochschule, wie sie damals noch hieß, bei Prof. Winfried Zimmermann experimentelle Malerei. Seitdem ist er konsequent auf seinem Weg in die Abstraktion weitergegangen, »er ist weiter und weiter in die Malerei gedrungen«, wie es Andreas von Randow einmal genannt hat, »er hat sich darin einen Mikrokosmos, einen Malkosmos unendlich vieler Variationen und Entwicklungen erschlossen. Immer genauer, immer subtiler erkennt er Modulationen und Variationen, immer stärker bringt er seine Kompetenz, mit Farbe, Fläche, Form, Gestalt und Komposition umzugehen, ein.«

Damit gehört er zu den wenigen Künstlern in diesem Lande, die keine auf den ersten Blick sichtbaren gravierenden formalen Brüche, inhaltliche Wendungen, keine modischen Tendenzen in ihrem Werk aufweisen. Seine Arbeiten sind unverwechselbar, sie haben eine eigene Handschrift, die trotz des Variantenreichtums seines Schaffens sichtbar bleibt. Es gibt eine – paradox scheinende – Konstante in seinen Arbeiten: die stetig fortentwickelte eigenständige Mal-Technik.

Spontaneität ist seiner Arbeitsweise fremd. Kleinformatige Skizzen und Farbstudien helfen, das gedachte Motiv zu klären, ehe die Arbeit auf der Leinwand mit dem Grundieren beginnt. Was banal klingt, da es jeder Tafelmalerei eignet, ist bei Volker Altenhof mehr als nur ein simples Einfärben der Leinwand. Er trägt zumeist aus Kreidepulver und weißem Carrara-Marmormehl sowie einem Binder gemischte weiße Spachtelmasse auf die Leinwand auf. Noch im feuchten Zustand wird diese Schicht mit Bürste, Schwamm oder anderem Handwerkszeug bearbeitet. Auf diese strukturierte, nur etwa einen Millimeter dicke Schicht wird ein erster Farbauftrag in lasierenden Temperafarben aufgelegt.

Ist die Farbschicht trocken, wird sie geschliffen – je nach gewünschter Oberflächenstruktur mit Sandpapier oder auch mit der nicht ganz ungefährlichen Schleifscheibe. Für den Feinschliff benutzt Altenhof dann Gaze. Durch das Schleifen erreicht er, dass höher stehende Reliefpartien der Grundierschicht stärker angeschliffen werden und dadurch wieder weiß erscheinen, während in den Vertiefungen die Farbe stehen geblieben ist. Dieser Ablauf von lasierendem Farbauftrag und anschließendem Schliff wird einige Male wiederholt, von dunkleren beziehungsweise kräftiger pigmentierten Farben hin zu helleren – zum Erreichen der gewünschten Wirkung bis zu zwanzig Mal. Dabei werden die unten liegenden Töne mehrfach gebrochen, ebenso die Weißtöne, die aber durchaus auch als helle Elemente durchbrechen können.

In der Weiterentwicklung seiner diffizilen Technik ist er zu einem Verfahren gelangt, das seinen Arbeiten einen besonderen Charakter verleiht. Durch Verwendung unterschiedlich löslicher Binder, etwa Gummi arabicum oder Polyvinyl, entstehen in einer Art Auswaschverfahren feine Oberflächenstrukturen, die an chemische Reaktionen erinnern – die so entstandenen reliefhaften Farbflächen sehen aus, als seien sie von Säuren angefressen oder angeätzt. Dabei ist auch die Farbigkeit seiner neueren Arbeiten offener und heller geworden, die Flächen sind belebter und bewegter.

Volker Altenhof gliedert seine Arbeiten auf Hartfaserplatten oder Leinwand in Werkgruppen, die er als Zyklen bezeichnet. Es ging an seinen Intentionen vorbei, wollte man diesen Begriff lexikalisch auslegen. Es geht ihm nicht um Reihen oder Serien, in denen ein Motiv variantenreich durchgespielt wird. Es sind thematische und motivische Werkgruppen, die er als Zyklen bezeichnet: Landschaft, Felder, Unterwegs, Container, Häuser, Erinnerungsbilder, Briefe an den Horizont.

Der Zyklus der »Erinnerungsbilder«, zumeist im Jahre 2006 entstanden, thematisiert Grundkomponenten seines Kunstschaffens: drei der vier Elemente sowie die »Erinnerung« als reflektorisches Element des Künstlers. Auf einer Grundfläche liegen, übereinandergestaffelt, je vier Rechtecke, deren Binnenformen den Elementen Luft – Altenhof nennt es Himmel – , Erde und Wasser zugeordnet sind, darüber oder darunter die »Erinnerung« als subjektive Essenz. Es sind Bilder im Bild, deren Einzelgestaltung ein Eigenleben führt, das nicht auf die große Fläche bezogen ist. Zwischen diesen Bildkomponenten entsteht eine kalkulierte Spannung, die durch ihre Farbigkeit und den Charakter der Detailformen bestimmt ist.

Anders die Arbeiten aus dem Zyklus »Unterwegs«. Auf einer Fläche, die für sich kein oben oder unten hat, liegt eine Form, die mal mehr, mal weniger deutlich den Umriss eines schlanken, länglichen Bootes annimmt, eine Chiffre, ein Zeichen, das Assoziationen freisetzt. Licht und Schatten, Hell und Dunkel umspielen die Form, die körperhaft erscheint, ohne es zu sein. Diese Form, dieser Körper ist ambivalent: Schauen wir von oben in das Boot hinein, oder sehen wir den Bootskiel, also von unten? Das Wechselspiel der Farben lässt keine eindeutige Festlegung zu.

»Um das Bild und auch den Körper in eine Bewegung zu bringen, strukturiert der Maler die Gesamtfläche so, dass er das untere Sechstel der Fläche in einen dunkleren Ton einfärbt, der dort, wo er dem Körper am nächsten ist, unruhig aufgeschwemmt erscheint. Durch diesen Effekt gelingt es, dem ganzen Bild eine Bewegungsdynamik zu geben, die von unten nach oben zielt«, konstatierte Andreas von Randow.

Dass Altenhofs künstlerisches Schaffen trotz seines hohen Abstraktionsgrades die ihn umgebende Realität spiegelt, mag nicht zuletzt an seinen »Häusern«, »Landschaften« und den »Briefen an den Horizont« deutlich werden.

Seine »Häuser« – wie etwa in »drei Häuser am Wasser« (2006), sind keine einfachen Abstraktionsformen, sie sind schematisierte Formen unserer Vorstellung von »Haus« – Quadrate oder Rechtecke mit aufgesetzten Dreiecksflächen, Urformen eines heute vielgestaltigen Objekts, denen mythische Ursprünglichkeit anhaftet. In ihnen tritt die Vorstellung zutage, dass der Mensch einmal im Einklang mit der Natur gelebt habe.
Ein schmales längliches, blaues Rechteck entschlüsselt sich als Wasserfläche, die an die Häuser heranreicht: Meeresküste, Fluss, Kanal, See? Die Zeichenhaftigkeit dieser Arbeiten lässt der Fantasie des Betrachters einen beträchtlichen Spielraum.

Auch seine Landschaften sind auf das Wesentliche reduziert, ohne jedoch Zeichen zu sein. Sie haben durchaus individuelle Züge, Charakteristika, die auf Gesehenes zurückgreifen, ohne fotografisch sein zu wollen. Als Maler reflektiert Volker Altenhof die Realität der Erscheinungswelt nur insoweit, als sie zur formalen Gestaltung innerer Befindlichkeiten taugt. Motive und Formen, die seinen Landschaften den Anschein von wiedererkennbarer, erlebter Wirklichkeit geben, sind niemals deren Abbilder, sondern Versatzstücke, ein Formenrepertoire zur Darstellung subjektiv empfundener oder erfahrener Wahrheiten. In diesem Sinne lassen sich romantische Theorien, wie sie Carl Gustav Carus 1831 formulierte, sinngemäß auf die abstrakte Malerei eines Volker Altenhof anwenden, wonach Landschaftsmalerei »die Darstellung einer gewissen Stimmung des Gemütslebens durch die Nachbildung einer entsprechenden Stimmung des Naturlebens« sei.

In gewisser Weise setzen Altenhofs »Briefe an den Horizont« an dieser Vorstellung an. Stand Caspar David Friedrichs »Mönch« noch gedankenverloren und in die Ferne schauend »am Meer«, den Horizont vor Augen, so geht er den Schritt in die Abstraktion weiter, indem er nicht mehr den sichtbaren Horizont, sondern – theoretisierend – den Begriff »Horizont« verwendet. Seine »Briefe« sind Felder, in die Textfragmente eingeschrieben sind, auf einer Farbfläche, hervorgerufen durch den Blick aus dem Atelierfenster über dem Wasser der Ostsee. Die Verwobenheit von Text und Bild, von Idee und Farbraum, im Unterschied zum Illusionsraum realistischer Malerei, wird auch in der technischen Umsetzung deutlich, bei der Altenhof die Textfragmente in die noch feuchte Grundierung einschreibt, einritzt, und sie dann in den oben beschriebenen Arbeitsgängen farbig überarbeitet. Text und Bild werden damit zu einer untrennbaren Einheit verbunden.

Arbeitsweise und Ergebnis machen bewusst, dass Volker Altenhof den Prozess des künstlerischen Schaffens als einen auf ihn selbst bezogenen Akt versteht. Dem Betrachter seiner Bilder verlangt er die visuelle Auseinandersetzung mit dem Geschaffenen als eigenschöpferischen Anteil am Bild ab. Produktion und Rezeption konstituieren das Kunstwerk als Objekt unerschöpflicher Deutungsmöglichkeiten.